Notariatsorganisation in der Praxis – wenn Tradition auf Digitalisierung trifft

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Als Notar Hans Schneider vor 30 Jahren seine Kanzlei gründete, war die Welt noch analog. Dicke Aktenordner stapelten sich, das Diktiergerät war ein unverzichtbarer Begleiter, und der Faxversand galt als modern. Heute steht seine langjährige Mitarbeiterin Frau Müller kurz vor dem Ruhestand. Sie kennt jede Akte, jede Vorschrift und hat über die Jahre ein immenses Fachwissen aufgebaut. Doch vieles davon ist in ihrem Kopf gespeichert – und genau hier liegt die Herausforderung.

Gleichzeitig hat das Notariat vor Kurzem einen neuen Mitarbeiter eingestellt: Jonas, gerade fertig mit der Ausbildung, digital versiert und mit unzähligen Ideen, wie man Arbeitsprozesse automatisieren könnte. Seine Augen leuchten, wenn er erzählt, wie moderne Software den Arbeitsalltag erleichtern kann. Doch er staunt auch, wie viele Prozesse noch manuell abgewickelt werden. Zwei Welten prallen aufeinander – und genau hier liegt das Potenzial für eine spannende Symbiose.

Wissenstransfer zwischen den Generationen – Chancen nutzen

Die größte Herausforderung bei der generationsübergreifenden Wissensvermittlung ist nicht nur der reine Transfer von Informationen, sondern auch das Verständnis für unterschiedliche Arbeitsweisen.

Gegenseitiges Verständnis fördern

Erfahrene Mitarbeitende wie Frau Müller haben über Jahrzehnte hinweg wertvolle Routinen entwickelt, die nicht einfach ersetzt werden können. Gleichzeitig bringen jüngere Mitarbeitende wie Jonas digitale Lösungsansätze mit, die Zeit sparen und Fehler vermeiden. Damit beide Seiten voneinander profitieren, hilft es, die Vorteile beider Ansätze offen zu diskutieren. Ein moderiertes Teammeeting, in dem jeder seine Herausforderungen und Lösungsansätze einbringt, kann Wunder wirken.

Praktische Wege für eine erfolgreiche Wissensvermittlung

Damit das Fachwissen von Frau Müller nicht mit ihr in den Ruhestand geht und Jonas sein digitales Know-how weitergeben kann, braucht es eine durchdachte Strategie.

Mentoring statt Frontalunterricht

Statt trockener Schulungen ist ein Mentoring-System sinnvoll: Frau Müller begleitet Jonas in den ersten Monaten intensiv, zeigt ihm wichtige Arbeitsabläufe und gibt ihr Wissen in der Praxis weiter. Im Gegenzug bringt Jonas ihr moderne digitale Tools bei, die den Arbeitsalltag erleichtern. Das stärkt nicht nur den Teamgeist, sondern sorgt auch für eine natürliche Wissensweitergabe.

Gemeinsame Dokumentation erstellen

Ein häufiges Problem in Notariaten ist, dass Wissen nicht zentral dokumentiert ist. Jeder hat seine eigene Art, Dinge zu erledigen. Eine Lösung: Jonas und Frau Müller arbeiten gemeinsam an einem digitalen Handbuch für das Notariat. Jonas strukturiert die Abläufe und ergänzt sie mit Screenshots und Checklisten, während Frau Müller ihr Fachwissen einbringt. So entsteht ein lebendiges Nachschlagewerk, von dem alle profitieren.

Wissen sichtbar machen – „Lernmittage“ einführen

Ein einfacher, aber effektiver Ansatz: Einmal im Monat gibt es einen internen „Lernmittag“, an dem eine Person aus dem Team eine kurze Schulung zu einem bestimmten Thema hält. Das kann ein erfahrener Kollege sein, der die häufigsten Stolperfallen in Grundstücksverträgen erklärt, oder Jonas, der zeigt, wie eine neue Software genutzt wird. So wird Wissen regelmäßig geteilt, ohne dass es sich nach zusätzlicher Arbeit anfühlt.

Mit Widerständen umgehen – Veränderung als Prozess verstehen

Natürlich ist nicht jeder begeistert von Veränderungen. Frau Müller könnte denken: „Warum soll ich jetzt noch meine Arbeitsweise ändern? Ich mache das seit 30 Jahren so!“ Jonas wiederum könnte frustriert sein, weil er auf Widerstände bei der Digitalisierung stößt.

Kleine Schritte statt großer Umbrüche

Veränderungen sollten behutsam eingeführt werden. Statt alles auf einmal zu digitalisieren, könnte das Team mit einem kleinen, konkreten Projekt starten – etwa die Einführung einer digitalen Fristenverwaltung. Wenn die Vorteile sichtbar werden, steigt die Akzeptanz für weitere Neuerungen.

Die richtige Kommunikation finden

Jede Generation hat ihre eigenen Werte und Kommunikationsstile. Während erfahrene Mitarbeitende oft den persönlichen Austausch schätzen, sind Jüngere mit digitalen Tools wie Teams oder Slack vertraut. Ein Mittelweg könnte sein, regelmäßige Meetings mit einer digitalen Plattform zur Dokumentation zu kombinieren. So fühlt sich niemand ausgeschlossen.

Fazit: Zwei Generationen, eine starke Einheit

Am Ende profitieren alle: Frau Müllers Fachwissen bleibt erhalten, Jonas bringt frischen Wind ins Notariat, und Notar Schneider kann sich sicher sein, dass seine Kanzlei für die Zukunft gut aufgestellt ist.

„Die Zukunft der Notariate basiert nicht auf den Unterschieden zwischen den Generationen, sondern auf deren Zusammenarbeit. Es ist wichtig, das Fachwissen erfahrener Mitarbeitender aktiv zu teilen und gleichzeitig die innovativen Ideen der jüngeren Generationen zu berücksichtigen, um eine starke Gemeinschaft zu bilden,“ sagt Ronja Tietje, Expertin für Kanzleiorganisation und -management.