Anscheinend korrekt? – Wer bei einer „Falschberatung“ beweispflichtig ist

Immer wieder verlangen Mandanten Schadenersatz vom Notar, da er angeblich falsch beraten hat.

Beim sogenannten Anscheinsbeweis setzt das Gericht einen gewöhnlichen, „typischen Geschehensablauf“ voraus, der nicht detailliert bewiesen werden muss. Dies kann der Fall sein, wenn ein Notar in einem Mandat so klare, eindeutige Hinweise oder Warnungen gibt, dass Mandanten diesen auch folgen. Eben weil es als einzig vernünftige Lösung erscheint. Lag der Notar falsch, ist die Haftungsfrage einfacher zu handhaben. Anders sieht es aus, wenn Mandanten nach Beratung verschiedene ernsthafte Optionen offenstehen, wie sie sich entscheiden. Zwar bejahte der BGH jüngst eine Beweislastumkehr in bestimmten Beratungsfällen. Übertragbar auf die Notarhaftung ist dies jedoch nicht. Den Notar träfen unangemessen hohe Risiken (BGH, Urt. v. 15.06.2023, Az. III ZR 44/22).

1. Notar bereitet Beurkundung nicht korrekt vor: Wichtige Belehrung unterbleibt

In der vorliegenden Sache ging es um ein mit einem Haus bebauten Erbbaurechtsgrundstück. Es war Bestandteil eines Nachlasses, für den eine Pflegschaft angeordnet war. Die Mandantin wollte schon länger ein Einfamilienhaus kaufen, um darin mit ihrem Lebensgefährten und der Tochter zu wohnen. Der beauftragte Notar übersandte der Mandantin einen Entwurf für einen Kaufvertrag über das Erbbaurecht, in dem unter anderem geregelt war, dass

  • sie als Käuferin sämtliche Rechte und Verpflichtungen aus dem Erbbaurechtsvertrag aus dem Jahr 1979 übernimmt und
  • ihr dieser alte Vertrag auch bekannt ist und sie von diesem eine Kopie bekommen hat.

Zu den Pflichten in diesem Erbbaurechtsvertrag gehörte auch die Instandhaltung sowie eine Heimfallklausel bezüglich einer Entschädigung für den Fall, dass die Käuferin die bauliche Anlage nicht ordnungsgemäß in einem guten Zustand erhält.

Hinweis

Unter „Heimfall“ wird die Rückübertragung eines Rechts an den ursprünglichen Rechtsinhaber verstanden (hier: Grundstückseigentümer). Zum Erbbau findet sich die gesetzliche Regelung in § 32 ErbbauRG. Der Vertrag endet in diesen Fällen also vorzeitig, bevor die ursprünglich vereinbarte Laufzeit verstrichen ist.

Der Notar beurkundete den Kaufvertrag, ohne sich allerdings um den besagten Erbbaurechtsvertrag zu kümmern und ihn der Mandantin inhaltlich sowie bezüglich rechtlicher Tragweite zu erläutern. Später kam es zu Schwierigkeiten mit dem Eigentümer: Die Verhandlungen über den Erwerb des Eigentums scheiterten, zudem machte dieser nun einen Heimfallanspruch geltend, da die Mandantin sich nicht um die Instandhaltung gekümmert habe. Die Mandantin verlangte nun Schadenersatz von dem Notar, da dieser ihr Inhalt und Pflichten des Erbbaurechtsvertrags nicht erläutert habe. Hätte sie von der Instandhaltungspflicht sowie der Heimfallklausel gewusst, hätte sie keinen Kauf gewünscht. Nun hatte sie bereits über 50.000 EUR für die Trocknung des Gebäudes bezahlt. Hinzu käme der Heimfall als weiterer Schaden, da nicht zu erwarten sei, dass sie den Kaufpreis und ihre bisherigen Aufwendungen vollständig zurückbekäme.

Ihre Klage zum LG Münster sowie ihre Berufung zum OLG Hamm blieben erfolglos. Auch der BGH gab ihr nicht Recht (Urt. v. 15.06.2023, Az. III ZR 44/22).

2. Beweislastumkehr: In anderen Branchen ja … aber nicht bei Notaren

Zunächst grenzte der BGH noch einmal den Anscheinsbeweis ab. Auf den könne sich die Klägerin nicht berufen, wenn es – wie hier – mehrere naheliegende Möglichkeiten gibt, wie man sich nach einer Notarberatung entscheidet. Übertragen auf diesen Fall heißt das: Die Klägerin (Mandantin) hätte wie behauptet diesen Vertrag vielleicht nicht unterschrieben, wenn sie den Erbbaurechtsvertrag gekannt hätte. Genauso möglich aber war es, dass der Vertragsinhalt für sie aufgrund des beabsichtigten und von ihr erwarteten Eigentumserwerbs nicht ausschlaggebend dafür war, ob sie nun kauft oder nicht. Dann wäre eine fehlende Aufklärung und Belehrung durch den Notar über den Erbbaurechtsvertrag auch nicht ursächlich für ihre geltend gemachten Schäden.

Schließlich kommt noch die jüngere, geänderte BGH-Rechtsprechung ins Spiel. In zwei Verfahren entschied der BGH bezüglich der Beweislastumkehr anders, und zwar in den Fällen

  1. einer Kapitalanlageberatung seitens Banken (Urt. v. 08.05.2012, Az. XI ZR 262/10) bzw.
  2. der Vermittlung von Wohnungskäufen als Kapitalanlage (Urt. v. 15.07.2016, Az. V ZR 168/15).

Auch wenn der Notar hier gegen seine Sachverhaltsaufklärungs- und Belehrungspflichten verstoßen hatte (§ 17 Abs. 1 Sätze 1 u. 2 BeurkG), ließen sich die Konstellationen aus den beiden o.g. BGH-Fällen nicht auf die Notarhaftung übertragen.

3. Notarhaftung droht von allen Seiten: Unangemessene Risikoverteilung

Die vielfältigen Pflichten des Notars gemäß § 17 Abs. 1 BeurkG sind umfassend, greifen weit und sind vergleichbar wie die Beratungspflichten von Anwälten oder Steuerberatern. Ein Notar müsste ggf. auch Umstände nachweisen, die überwiegend oder komplett im Einfluss- und Kenntnisbereich der Mandanten liegen.

Den Notar hätte im vorliegenden Fall zudem eine unverhältnismäßige Risikolast getroffen. Er würde nicht nur haften, wenn hinreichend wahrscheinlich ist, dass die Mandantin von vornherein angesichts der mit dem Erbbaurecht verbundenen Risiken den Vertrag nicht will. Er trüge ebenso ein Haftungsrisiko, wenn sich lediglich die Erwartungen der Mandantin, das Eigentum an dem Grundstück erwerben zu können, oder ihre Einschätzungen zum Gebäudezustand und der Renovierungskosten als unzutreffend herausstellen.