Das „Wer“ der öffentlichen Präventivkontrolle

Mit der Neufassung des Art. 10 GesRRL-E („Member States shall provide for preventive administrative, judicial or notarial control, or any combination thereof, […]“.) bestätigt der Unionsgesetzgeber ausdrücklich und im Einklang mit den nationalen Rechtssystemen und Rechtstraditionen (ErwG 9), dass die Mitgliedstaaten jede Kombination öffentlicher Kontrollautoritäten für die gesellschaftsrechtliche Präventivkontrolle vorsehen können.

aa) Zulässigkeit doppelstufiger Kontrollsysteme

Das gilt einerseits für solche Mitgliedstaaten, die sich für ein komplementäres Kontrollsystem nach dem Vier-Augen-Prinzip entschieden haben, bei dem sich die Kontrolle durch Notare und Registergerichte (Etwa Deutschland, Österreich und Spanien) bzw. Registerbehörden (Etwa die Niederlande) ergänzt. Die ausdrückliche Erfassung solch komplementärer Kontrollsysteme dürfte ein Grund für die Änderung des Art. 10 GesRRL sein. Denn dessen aktuell geltende Fassung hätte ihrem Wortlaut nach (unzutreffend) dahin verstanden werden können, dass notarielle Präventivkontrolle nur dort zulässig wäre, wo es keine gerichtliche oder behördliche Kontrolle gibt. Das hätte entgegen ErwG 9 die Rechtstraditionen insbesondere derjenigen Mitgliedstaaten nicht respektiert, bei denen allein Notare die gesellschaftsrechtliche Prüfungskompetenz haben (Etwa in Belgien, Italien und Tschechien).

Die ausdrückliche Anerkennung doppelstufiger Kontrollsysteme im Europäischen Gesellschaftsrecht ist zu begrüßen. Etwa in Deutschland bilden Notare zusammen mit den Registergerichten eine verlässliche Infrastruktur für den Rechts- und Wirtschaftsverkehr, die Rechtssicherheit schafft und Transaktionskosten senkt (Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2018, 764, 768 ff.). Das erlaubt es, wichtige Geschäfte und Investitionen von Bürgern und Unternehmen sicher, zügig und kostengünstig abzuwickeln.

bb) Zulässigkeit einstufiger Kontrollsysteme

Umgekehrt ist mit der Neufassung des Art. 10 Abs. 1 GesRRL-E ebenfalls klar, dass die notarielle Rechtskontrolle nicht nur optional und komplementär zur gerichtlichen bzw. behördlichen Eingangskontrolle zulässig wäre.

Der Unionsgesetzgeber wollte dies gegenüber dem insoweit missverständlichen Kommissionsentwurf (COM(2023) 177 final) klarstellen, der in ErwG 9 eine „vorbeugende Verwaltungs- oder gerichtliche Kontrolle unter Wahrung der Traditionen der Mitgliedstaaten, einschließlich der möglichen Beteiligung von Notaren“ vorschlug.

Zudem erwähnte der Kommissionsentwurf Notare in Art. 10 Abs. 1 GesRRL-E nicht ausdrücklich, wobei sie allerdings – je nach Notariatsverfassung in dem betreffenden Mitgliedstaat – unter verwaltungsbehördliche bzw. gerichtliche Kontrolle zu subsumieren sind (Vgl. für Deutschland § 1 BNotO, wonach Notare öffentliche Amtsträger sind, die hoheitliche Befugnisse ausüben. So hat das BVerfG wiederholt klargestellt, dass die notarielle Beurkundung aus Sicht des deutschen Verfassungs- und Verfahrensrechts eine mit hoheitlichen Mitteln zu erfüllende hoheitliche Aufgabe ist und der Notar nach der Art der von ihm zu erfüllenden Aufgaben der vorsorgenden Rechtspflege dem Richter nahe steht. S. nur BVerfGE 131, 130 = NJW 2012, 2639).

Durch die ausdrückliche Aufzählung von Notaren in Art. 10 Abs. 1 GesRRL-E ist hier jeder Zweifel beseitigt.

cc) Unzulässigkeit reiner Formalkontrolle

Die Neufassung des Art. 10 GesRRL-E räumt mit einem weiteren Missverständnis auf, das seit dem Beitritt des Vereinigten Königreichs im Jahr 1973 zur damaligen Europäischen Gemeinschaft besteht. Dieses Missverständnis beruht auf einer falschen Auslegung der seit 1973 geltenden englischen Sprachfassung des Art. 10 GesRRL, wonach die Gründungsurkunde – mangels gerichtlicher oder behördlicher Eingangskontrolle – in ordnungsgemäßer Form abgefasst und beglaubigt sein muss („drawn up and certified in due legal form“) („[T]hose documents shall be drawn up and certified in due legal form“.). Diese Formulierung lässt dem Wortsinn nach eine Auslegung zu, wonach jede im Recht eines Mitgliedstaats vorgesehene Formalität zulässig ist und dass die Einhaltung dieser Formerfordernisse eine Befreiung von jeder vorherigen behördlichen oder gerichtlichen Kontrolle rechtfertigen kann.

Diese Auslegung war schon auf der Grundlage des geltenden Art. 10 GesRRL eindeutig abzulehnen, erlaubte es aber seither dem Vereinigten Königreich bis zu seinem EU-Austritt und weiteren Mitgliedstaaten, eher unscheinbare präventive Kontrollsysteme im Gesellschaftsrecht vorzusehen (Ausführlich Bormann/Wosgien, FS Frenz, S. 63 ff.).

Die DRL II ist eine ausdrückliche Zurückweisung dieser Auslegung, da die umfangreichen Mindestprüfungen nach Art. 10 Abs. 2 GesRRL-E durch Gerichte, Behörden oder Notare durchzuführen sind.

dd) Unzulässigkeit rein automatisierter Kontrolle

Mit der Entscheidung für die öffentliche Präventivkontrolle durch Gerichte, Behörden und Notare hat sich der Unionsgesetzgeber gleichzeitig gegen rein automatisierte Kontrollverfahren ohne menschliche Beteiligung entschieden.

Dafür spricht nicht nur die Komplexität vielgestaltiger und individueller gesellschaftsrechtlicher Gestaltungen, Verfahren und Transaktionen, die eine effektive Eingangskontrolle zum Schutz der Verlässlichkeit öffentlicher Register erfordert und denen eine reine automatisierte Prüfung nicht gerecht werden dürfte. Daher ist eine menschliche Letztentscheidungskompetenz unbedingt erforderlich.

Das Verbot rein automatisierter Eingangskontrolle entspricht dem sog. AI Act, nach dem für den Justizbereich konzipierte Systeme künstlicher Intelligenz als „hochriskant“ einzuordnen sind (S. nur den Kommissionsvorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung harmonisierter Vorschriften für künstliche Intelligenz und zur Änderung bestimmter Rechtsakte der Union v. 21.4.2021, COM(2021) 206 final. Zum Redaktionsschluss ist der finalen Verordnungstext noch nicht veröffentlicht.). Daher soll bei ihnen stets eine wirksame menschliche Kontrolle sichergestellt sein.

Zudem hat die Kommission in ihrer Supranationalen Risikobewertung aus 2022 zur Geldwäscheprävention ausdrücklich festgestellt, dass die Nutzung sog. Legal Tech-Lösungen zwar das Potenzial hat, Rechtsdienstleistungen effektiver und schneller zu machen. Gleichzeitig warnt sie aber, dass angesichts mit Standardisierung und Automatisierung verbundener Gefahren die Beteiligung menschlicher Rechtsexperten stets erforderlich ist, um die Risiken von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung zu beurteilen (Supranationale Risikobewertung, Annex, S. 198, COM(2022) 554 final).

Selbstverständlich können automatisierte Verfahren unterstützend herangezogen werden. Allerdings sollte stets untersucht werden, wie automatisierte Lösungen die Prüfung durch öffentliche Kontrollautoritäten schneller und günstiger machen können, ohne dass dies zulasten der Verlässlichkeit der Prüfung geht. Das alles entspricht den Empfehlungen der sog. informellen Expertengruppe ICLEG, welche die Kommission im Vorfeld der Veröffentlichung des Richtlinienvorschlags beraten hat (S. die Veröffentlichung der ICLEG unter dem Titel „Cross-border use of company information“ v. 13.7.2022 Rn 34.).

Ein Auszug aus dem Buch Wachter/Heckschen (Hrsg.) Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, 6. Auflage, 2024, §10 Rn 2354-2358

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