Digitalisierung: Online-Gründung und die Problembereiche

a)   Gesetzgebungsverfahren

Am 5.7.2021 ist das Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie (Richtlinie (EU) 2019/1151 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2019 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 im Hinblick auf den Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht) (ABl L 196 v. 11.7.2019, S. 80) verabschiedet worden (Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie (DiRUG) v. 5.7.2021, BGBl I 2021, S. 3338). Dieses Gesetz wurde am 15.7.2022 durch das Gesetz zur Ergänzung der Regelungen zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie ergänzt (Gesetz zur Ergänzung der Regelungen zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie v. 15.7.2022, BGBl I 2022, S. 1146; ausf. dazu Heckschen/Knaier, NZG 2022, 885 ff.).

Zweck der zugrundeliegenden Richtlinie ist die europaweite grenzüberschreitende Vereinfachung der Gründung von Gesellschaften und der Errichtung von Zweigniederlassungen durch den Einsatz digitaler Instrumente und Verfahren. Die bisherigen Verfahren sollen durch die Neuregelungen vor allem im Hinblick auf den Kosten- und Zeitaufwand effizienter gestaltet werden.

Wesentliche Punkte sind u.a. die Eröffnung der Möglichkeit zur Online-Gründung einer GmbH sowie die Ausgestaltung der Online-Verfahren bei Registeranmeldungen für Kapitalgesellschaften und Zweigniederlassungen, zur Einreichung und Offenlegung von Urkunden und Informationen im Handels- und Unternehmensregister sowie zum grenzüberschreitenden Informationsaustausch über das Europäische System der Registervernetzung (BRIS).

Seit dem 1.8.2022 ist das DiRUG (Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie (DiRUG) v. 5.7.2021, BGBl I 2021, S. 3338; ausführlich dazu: Heckschen/Knaier, NZG 2021, 1093 ff.; Teichmann, GmbHR 2021, 1237 ff.; Omlor/Blöcher, DStR 2021, 2352 ff.) in Kraft. Kurzfristig wurden mit einem Ergänzungsgesetz (DiREG) (Gesetz zur Ergänzung der Regelungen zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie v. 15.7.2022, BGBl I 2022, S. 1146; ausführlich dazu Heckschen/Knaier, NZG 2022, 885 ff.; Lieder, ZRP 2022, 102 ff.; Wicke, GmbHR 2022, 516 ff.; Stelmaszczyk/Strauß, ZIP 2022, 1077 ff.), das im Eilverfahren das parlamentarische Verfahren durchlaufen hat, noch einige Erweiterungen der elektronischen notariellen Beurkundung vorgenommen.

b) Die Neuregelungen im Einzelnen

Im Folgenden werden die grundlegenden Veränderungen durch das DiRUG und DiREG genauer in den Blick genommen. Herzstück der Neuregelungen sind dabei diejenigen, die die neuen Beurkundungsmöglichkeiten regeln.

aa) Ausgestaltung der Online-Verfahren im Hinblick auf die hohen Standards notarieller Beurkundungsverfahren

Mit DiRUG und DiREG sind nun gesetzliche Rahmenbedingungen für die Vornahme virtueller notarieller Beurkundungen und Beglaubigungen im Handels- und Gesellschaftsrecht geschaffen. Das Augenmerk liegt hierbei insbesondere auf der Aufrechterhaltung der hohen Standards notarieller Beurkundungsverfahren.

(1)  Notarielle Beurkundung von Willenserklärungen mittels Videokommunikation

Zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie sieht der neue § 16a BeurkG mit Blick auf die Ermöglichung der Online-Gründung der GmbH die Option der notariellen Beurkundung von Willenserklärungen mittels Videokommunikation vor. Hierzu muss zwingend das von der BNotK nach § 78p BNotO betriebenen Videokommunikationssystem, welches eine Gleichwertigkeit zu einem Präsenzverfahren sicherstellen soll, genutzt werden.

(2)  Öffentliche Beglaubigung qualifizierter elektronischer Signaturen

§ 40a BeurkG ermöglicht die öffentliche Beglaubigung qualifizierter elektronischer Signaturen mittels Videokommunikation durch Notarinnen und Notare und damit die Online-Einreichung von Handelsregisteranmeldungen sowie auf gleichem Wege die Eintragung von Zweigniederlassungen.

Mit der Neufassung des § 12 Abs. 1 Satz 2 HGB in der Form der DiREG ist die öffentliche Beglaubigung mittels Videokommunikation gem. § 40a BeurkG generell und rechtsformunabhängig zulässig. Dies gilt selbst für Online-Beglaubigungen von nicht registrierten Gesellschaften, etwa bei der Online-Beglaubigung von Anmeldungen im Zusammenhang mit Umwandlungen. Erfasst sind Anmeldungen zum Genossenschafts- und Partnerschaftsregister und seit 1.8.2023 auch zum Vereinsregister (BeckOK-HGB/Müther, § 12 Rn 11).

(3)  Einrichtung eines sicheren, manipulationsresistenten und zuverlässigen Videokommunikationssystems

Unabdingbar für die Urkundstätigkeit mittels Videokommunikation ist die Installation eines sicheren, manipulationsresistenten und zuverlässigen Videokommunikationssystems. Die Aufgabe zum Betrieb eines solchen Videokommunikationssystems wird durch § 78p Abs. 1 BNotO der BNotK übertragen. Neben der technischen Abwicklung der Videokommunikation zwischen den Notaren und den Beteiligten soll der Betrieb des Videokommunikationssystems gem. § 78p Abs. 2 Nr. 2 BNotO unter anderem und insbesondere die technische Durchführung eines elektronischen Identitätsnachweises nach § 16c Satz 1 BeurkG ermöglichen. Nur so können Notarinnen und Notare Beurkundungen mittels Videokommunikation unter gleichzeitiger Erfüllung ihrer Amtspflichten und besonders der sicheren Identifizierung der Beteiligten vornehmen (vgl. § 10 BeurkG).

Kann sich der Notar auf virtuellem Wege keine Gewissheit über die Person eines Beteiligten verschaffen oder hat er Zweifel an der erforderlichen Rechtsfähigkeit oder Geschäftsfähigkeit eines Beteiligten, soll er gem. § 16a Abs. 2 BeurkG die Beurkundung mittels Videokommunikation jedoch ablehnen (BeckOK-BeurkG/Bremkamp, § 16a Rn 113).

Darin liegt zwar nach Ansicht der Lit. ein „Systembruch“ (BeckOK-BeurkG/Bremkamp, § 16a Rn 113), da die Urkundsgewährpflicht gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 BnotO für die Videobeurkundung anders als für die Präsenzbeurkundung ausgestaltet ist. Es soll nach Gesetzesbegründung aber dafür sorgen, dass trotz der erwünschten Erleichterungen stets die Qualität und Sicherheit notarieller Beurkundungsverfahren aufrechterhalten werden soll – im Zweifel durch einen „Rückschritt“ zu den altbewährten Verfahren (BeckOK-BeurkG/Bremkamp, § 16a Rn 115 ff.).

(4)  Feststellung der Beteiligten mittels Videokommunikation

Gem. § 16c BeurkG erfolgt die Feststellung und Identifizierung der Beteiligten durch Auslesen des Lichtbilds aus dem Chip des Personalausweises und den anschließenden Abgleich mit dem Erscheinungsbild der Beteiligten im Wege der Videokommunikation.

Die Vorschrift ist ebenfalls 1.8.2022 in Kraft getreten, wurde aber noch vor ihrem Inkrafttreten durch das DiREG dahingehend ausgeweitet, dass auch elektronische Identifizierungsmittel, von Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum im Onlineverfahren genutzt werden können (BT-Drucks 20/1672, S. 21).

Diese Methodik gewährleistet durch zweistufige Identifizierung ein ähnliches Sicherheitsniveau wie das Präsenzverfahren (BeckOK-BeurkG/Bremkamp, § 16c Rn 3).

(5)  Zulässige Dateiformate

Neben dem bis zum 1.8.2022 zugelassenen elektronischen Format kann die Einreichung von Dokumenten im Zuge von Handelsregisteranmeldungen künftig auch in einem „maschinenlesbaren und durchsuchbaren Datenformat“ erfolgen (§ 12 Abs. 2 Satz 1 HGB) (BeckOK-HGB/Müther, § 12 Rn 33).

Laut der Entwurfsbegründung (BT-Drucks 19/28177, S. 96) (S. 96) bleibt es den Landesregierungen überlassen, entsprechend der Ermächtigung in § 8a Abs. 2 Satz 1 und 2 HGB, die Einzelheiten zu den Dateiformaten der zu übermittelnden Dokumente zu regeln. Es muss lediglich sichergestellt sein, dass die jeweiligen Dateiformate maschinenlesbar und durchsuchbar sind. Strukturierte Datensätze im Dateiformat XML seien dafür nicht zwingend erforderlich, ausreichend wären bspw. auch durchsuchbare Dateien im PDF-Format, insbesondere auch dann, wenn diese durch einen Scan von originären Papierunterlagen mittels einer Texterkennungssoftware (OCR) erstellt werden. Unschädlich sei dabei auch, wenn Daten, die nicht für die Maschinenlesbarkeit geeignet sind, also bspw. eingescannte Unterschriften, etwa im Falle einer Gesellschafterliste, oder bildliche Darstellungen, nicht umfasst werden.

bb) Ermöglichung der Online-Gründung von GmbH und UG

Der neue § 2 Abs. 3 GmbHG enthält nun ausdrücklich die Möglichkeit einer Online-Gründung einer GmbH und UG (haftungsbeschränkt) mittels Videokommunikation:

Eine Online-Gründung für andere Rechtsformen wurde zunächst nicht vorgesehen. Auch beschränkte sich die Möglichkeit der Online-Gründung nach dem DiRUG auf die Fälle einer reinen Bargründung ohne Sacheinlagen. Diese Beschränkung ist in der Lit. teilweise auf Kritik gestoßen (Altmeppen, GmbHG, § 2 Rn 95; BeckOGK-GmbHG/Stelmaszczyk, § 2 Rn 399). Daher wurde durch das DiREG nachgebessert und der Anwendungsbereich zum 1.8.2023 auf die Sachgründung der GmbH erweitert.

Es ist allerdings zu beachten, dass Sachgründungen in der Praxis schon bislang nur einen geringen Teil der Gründungsvorgänge ausmachen und seit einer Entscheidung des BFH im Jahr 2010 (BFH, 7. 4. 2010 – I R 55/09, DStR 2010,1780) in der Praxis die Bargründung mit sog. Sachagio bzw. Barkapitalerhöhung mit Sachagio an Bedeutung gewonnen hat.

Eine Ausnahme ist weiterhin für Sachgründungen unter Einbringung von Gegenständen vorgesehen, deren Übertragung ihrerseits beurkundungspflichtig ist, da das Online-Verfahren für diese Beurkundungsgegenstände nicht zugelassen ist (BT-Drucks 20/1672, S. 23). Dies ist insbesondere für Sachgründungen unter Einbringung von Grundstücken oder GmbH-Anteilen der Fall.

Dadurch, dass gem. § 2 Abs. 3 Satz 3 GmbHG auch die im Rahmen der Gründung der Gesellschaft gefassten Gesellschafterbeschlüsse mittels Videokommunikation beurkundet werden können, wird klargestellt, dass die gegenwärtige Praxis der gemeinsamen Beurkundung des Gesellschaftsvertrages und von Beschlüssen der Gesellschafter auch im Online-Verfahren zulässig bleibt, ohne dass dadurch ein Formerfordernis für derartige Beschlüsse angeordnet würde. Jedoch sind von der Beurkundungsmöglichkeit mittels Videokommunikation nur solche Gesellschafterbeschlüsse umfasst, die mit der Gründung in engem Zusammenhang stehen oder für diese erforderlich sind, nicht etwa Kapitalmaßnahmen oder Umwandlungsvorgänge (Vgl. Entwurfsbegründung, S. 161).

Des Weiteren können im Falle der Online-Gründung die gem. § 2 Abs. 1 Satz 2 GmbHG erforderlichen Unterschriften der Gesellschafter durch qualifizierte elektronische Signaturen ersetzt werden. Dies gilt jedoch lediglich für die mittels Videokommunikation an der Beurkundung teilnehmenden Gesellschafter. § 2 Abs. 1 Satz 2 GmbHG bleibt i.Ü. unberührt.

cc) Gesellschafterbeschlüsse zur Änderung des Gesellschaftsvertrags

Darüber hinaus sind durch das DiREG auch Gesellschafterbeschlüsse zur Änderung des Gesellschaftsvertrages (sog. satzungsändernde Beschlüsse) einschließlich Kapitalmaßnahmen (Erhöhung und Herabsetzung des Stammkapitals) in den Anwendungsbereich des Online-Verfahrens einbezogen worden. Dabei müssen die satzungsändernden Gesellschafterbeschlüssen nur dann möglich ist, wenn diese einstimmig gefasst werden, sodass mehrheitlich gefasste Beschlüsse von der Online-Beurkundung ausgeschlossen sind. Diese Regelungen treten erst zum 1.8.2023 in Kraft.

dd) Gründungsvollmachten

Der neue § 2 Abs. 2 Satz 2 GmbHG regelt die notarielle Errichtung einer Gründungsvollmacht im Wege der Beurkundung nach §§ 16a ff. BeurkG. Jede Spezialvollmacht, die zur Gründung einer GmbH (bzw. zur nachträglichen Änderung der Gründungsurkunde) erteilt wird, ist hierbei dem Onlinebeurkundungsverfahren zugänglich. Im Zusammenhang mit der Online-Beurkundung von Gründungsvollmachten erkennt das DiREG ein praktisches Bedürfnis, insbesondere für die Beurkundung/Beglaubigung sog. Vollzugsvollmachten, an (Begr. RegE DiREG, BT-Drucks 20/1672, S. 22; Heckschen/Knaier, NZG 2021, 1093, 1094). In einer Vollzugsvollmacht räumen die Gesellschafter den Mitgesellschaftern oder Mitarbeitern des die Gründung beurkundenden Notars Vollmachten ein, Erklärungen abgeben und entgegennehmen zu können, die für den Vollzug der Gründung erforderlich oder zweckmäßig sind. Dies gilt insbesondere für den Fall der Beanstandung von Regelungen des Gesellschaftsvertrages durch das Registergericht.

Wenn von der elektronischen Urschrift der Vollmachtsurkunde eine Ausfertigung in Papierform erteilt und diese dem beurkundenden Notar vorgelegt wird, ist eine im Onlineverfahren beurkundete Vollmacht auch bei einer Gründung im Präsenzverfahren verwendbar (Begr. RegE DiREG, BT-Drucks 20/1672, S. 22). Die Vorschrift sind auf die Genehmigung eines durch einen vollmachtlosen Vertreter abgeschlossenen Gesellschaftsvertrages einer Mehr-Personen-GmbH entsprechend anwendbar (Begr. RegE DiREG, BT-Drucks 20/1672, S. 22; Altmeppen, GmbHG § 2 Rn 30).

ee) Einführung einer örtlichen Zuständigkeit für Notarinnen und Notare in Online-Verfahren

Zur Verhinderung eines Online-Wettbewerbs und zur Aufrechterhaltung einer flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung mit notariellen Leistungen sieht § 10a Abs. 3 BNotO eine örtliche Zuständigkeit für Notarinnen und Notare in Online-Verfahren vor, die an

  • den Sitz der betroffenen juristischen Person und rechtsfähigen Personengesellschaft,
  • den Sitz der betroffenen Zweigniederlassung bei einer Gesellschaft mit Sitz im Ausland oder
  • Wohnsitz oder Sitz eines organschaftlichen Vertreters der betroffenen Gesellschaft
  • den Wohnsitz oder Sitz eines Gesellschafters der betroffenen juristischen Person oder rechtsfähigen Personengesellschaft

anknüpft.

Das geltende Amtsbereichsprinzip wird so auch auf die Online-Verfahren übertragen. Ausnahmen sind jedoch dann möglich, wenn besondere berechtigte Interessen der Rechtssuchenden ein Tätigwerden außerhalb des Amtsbereichs gebieten (vgl. § 10a Abs. 2 BNotO).

Jeder Anknüpfungspunkt genügt für sich, d.h. sie sind echte Alternativen (BT-Drucks 19/28177, S. 107). Für die Vornahme der Videobeurkundung genügt damit also, dass ein örtliches Anknüpfungsmerkmal gegeben ist, z.B. der Sitz der zu gründenden Gesellschaft im Amtsbereich liegt, obwohl alle Geschäftsführer außerhalb des Amtsbereichs wohnen, oder wenn ein Geschäftsführer seinen Wohnsitz im Amtsbereich hat, während die Gesellschaft und sämtliche Gesellschafter keinen entsprechenden örtlichen Bezug aufweisen (BeckOK-BNotO/Regler, § 10a Rn 40).

ff)  Regelungen zur Offenlegung von Registerinformationen und zu den Gebühren

Neben den Neuregelungen zum Online-Verfahren ist auch eine Reihe von Änderungen hinsichtlich der Regelungen zur Offenlegung von Registerinformationen und zu den Gebühren in Kraft getreten.

So ist das System der Offenlegung von Rechnungslegungsunterlagen umgestellt worden. Statt des bisherigen Verfahrens (Einreichung der Unterlagen beim Betreiber des Bundesanzeigers, Bekanntmachung im Bundesanzeiger, Übermittlung an das Unternehmensregister) erfolgt die Übermittlung von Rechnungslegungsunterlagen direkt an die das Unternehmensregister führende Stelle zur Einreichung in das Unternehmensregister. Sinn und Zweck der Neuregelung ist die Vermeidung der Doppelpublizität und die Stärkung der Funktion des Unternehmensregisters als zentrale Stelle für rechnungslegungsbezogene Unterlagen. Diese sollen aus selbigem Grund fortan nur noch über das Unternehmensregister abrufbar sein.

Zum anderen sind die Gebührenregelungen zum Abruf von Daten aus dem Handels-, Vereins-, Partnerschafts- und Genossenschaftsregister angepasst worden. Entsprechend Art. 19 Abs. 2 GesRRL soll der Abruf von Daten oder Dokumenten, die zum Register eingereicht wurden, nun kostenfrei erfolgen. Der Wegfall der Abrufgebühren wird weitgehend durch die Erhebung von Bereitstellungsgebühren gegenüber den Anmeldenden kompensiert.

gg) Verbesserter grenzüberschreitender Informationsaustausch über Zweigniederlassungen

Neuerdings sind auch Informationen über ausländische Zweigniederlassungen in einem anderen EU-Mitglied- oder EWR-Vertragsstaat von einer Kapitalgesellschaft mit Sitz im Inland ins Handelsregister einzutragen. Die Handelsregistereintragung erfolgt unmittelbar durch die Registergerichte nach Übermittlung der entsprechenden Informationen über das Europäische System der Registervernetzung. Ein separates Anmeldeverfahren für ausländische Zweigniederlassungen gibt es nicht.

Es gibt daneben auch Erleichterungen hinsichtlich der Anmeldung und Eintragung von Zweigniederlassungen im Inland von einer Kapitalgesellschaft, die dem Recht eines anderen Mitgliedstaates der EU oder eines anderen Vertragsstaates des EWR unterliegt, § 9b HGB. So entfällt insbesondere das Erfordernis der Abgabe einer Versicherung über das Nichtvorliegen von Bestellungshindernissen. § 6 Abs. 2 Satz 2 und 3 GmbHG und § 76 Abs. 3 Satz 2 und 3 AktG sind in Bezug auf Zweigniederlassungen nicht länger anwendbar.

Die Umgehung von Bestellungshindernissen wird durch die im Folgenden erläuterten Neuregelungen zum Informationsaustausch über disqualifizierte Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder verhindert.

hh) Grenzüberschreitender Informationsaustausch über disqualifizierte Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder

Mit § 9c HGB wurde eine gesetzliche Regelung zur Beantwortung von Ersuchen der Bundesrepublik Deutschland sowie anderer Mitgliedstaaten oder Vertragsstaaten über das Europäische System der Registervernetzung geschaffen, um die Berücksichtigung sowohl ausländischer als auch inländischer Bestellungshindernisse für die Bestellung von Geschäftsführern und Vorstandsmitgliedern von Kapitalgesellschaften zu ermöglichen. Zuständige Behörde für die Beantwortung entsprechender Ersuchen ist die das Unternehmensregister führende Stelle.

Gem. § 9c Abs. 4 HGB beschränkt sich der Informationsaustausch auf die Mitteilung, ob eine Disqualifikation nach § 6 Abs. 2 Nr. 2 und 3 GmbHG oder gem. § 76 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 AktG vorliegt.

Entsprechend Art. 2 Abs. 2 der Digitalisierungsrichtlinie und abweichend von den übrigen Gesetzesänderungen fanden die Regelungen in § 9c Abs. 1–5 HGB erst ab dem 1.8.2023 Anwendung (Art 88 Abs. 1 EGHGB). Die in § 9c Abs. 6 HGB vorgesehene Ermächtigung zum Verordnungserlass trat jedoch bereits am 1.8.2022 in Kraft (Vgl. BGBl I 2021, S. 3338, 3369). So können die erforderlichen Bestimmungen in Bezug auf die Beantwortung und die Durchführung der Ersuchen durch die zuständige Stelle einschließlich der Bestimmungen über weitere Formalien und technische Einzelheiten auch durch Rechtsverordnung getroffen werden.

Durch die Einfügung eines jeweils neu gefassten § 6 Abs. 2 Satz 3 GmbHG sowie des § 76 Abs. 3 Satz 3 AktG wurde weiterhin der Umfang der materiellen Bestellungshindernisse erweitert. Somit führt auch die Disqualifikation in einem anderen EU-Mitglied- oder Vertragsstaat aufgrund eines Berufs- oder Gewerbeverbots zu einem Bestellungshindernis. Voraussetzung ist jedoch wie nach den bisherigen Regelungen in § 6 Abs. 2 Satz 3 GmbHG sowie in § 76 Abs. 3 Satz 3 AktG in Bezug auf Straftaten jedenfalls eine Teilidentität zwischen dem jeweiligen Gegenstand des behördlichen oder gerichtlichen Verbots und dem Unternehmensgegenstand der Gesellschaft, mithin eine Vergleichbarkeit.

Auch die Regelungen über die erweiterten Bestellungshindernisse für einschlägige Berufs- und Gewerbeverbote im EU- oder EWR-Ausland nach § 6 Abs. 2 Satz 3 GmbHG sowie § 76 Abs. 3 Satz 3 AktG sind erst ab dem 1.8.2023 anwendbar (§ 11 EGGmbHG, § 26m EGAktG).

c) Virtuelle Gesellschafterversammlung in der GmbH

Darüber hinaus enthält das DiREG Regelungen zu einem vom DiRUG unabhängigen Themenkomplex, der virtuellen Gesellschafterversammlung bei der GmbH. Im GmbH-Recht gilt das Leitbild einer Präsenzversammlung. § 48 Abs. 1 Satz 1 GmbHG regelt, dass Beschlüsse der Gesellschafter in der Gesellschafterversammlung als einer grds. präsenten Zusammenkunft gefasst werden. Mit Wirkung zum 1.8.2022 hat die Regelung des § 48 Abs. 1 GmbHG einen zweiten Satz erhalten. Dieser lautet: „Versammlungen können auch fernmündlich oder mittels Videokommunikation abgehalten werden, wenn sämtliche Gesellschafter sich damit in Textform einverstanden erklären.“

Die Neuregelung erlaubt nun die Zusammenkunft in virtuellen Versammlungen auch dann, wenn die Satzung hierzu keinerlei Regelungen enthält (Zur unsicheren Lage hinsichtlich Umwandlungsbeschlüsse ausf. Widmann/Mayer/Heckschen, Stand: 2/2022, § 13 Rn 43.3.1 ff.). Dies war nach h.M. bis zum 1.8.2022 nicht möglich. Mit der Neuregelung in § 48 Abs. 1 Satz 2 GmbHG reagiert der Gesetzgeber auf eine Entwicklung, die sich spätestens seit den Kontaktbeschränkungen während der COVID-19-Pandemie (Ausf. zur virtuellen/hybriden Versammlung allgemein und in der Pandemie Widmann/Mayer/Heckschen, Stand: 2/2022, § 13 Rn 43.2 ff.), während der Geltung der Übergangs-Regelungen des COVMG und dem Umgang der Praxis sowohl mit der (teilweise unbefriedigenden) Rechtslage als auch mit den tatsächlichen Gegebenheiten abgezeichnet hatte.

Angesichts der mit den geltenden Kontaktbeschränkungen verbundenen Schwierigkeiten bei der Abhaltung von Präsenzversammlungen hatte der Gesetzgeber im COVMG Erleichterungen für die AG (§ 1 COVMG), die Genossenschaft (§ 3 COVMG) und den Verein (§ 5 COVMG) geschaffen, um für diese Rechtsformen audiovisuelle Versammlungen auch dann zu ermöglichen, wenn die Satzungen der betreffenden Gesellschaften keinerlei Regelungen zu virtuellen Versammlungen enthielten (was regelmäßig der Fall war).

Die auf der Grundlage der Regelungen in §§ 1, 3 und 5 COVMG abgehaltenen (teil-)virtuellen Versammlungen haben eine Vielzahl von Gerichtsentscheidungen produziert, die anschaulich illustrieren, mit welchen Problemen nichtpräsente Zusammenkünfte verbunden sein können (S. nur BGH, 5.10.2021 – II ZB 7/21, NZG 2021, 1562 (Verschmelzungsbeschluss einer Genossenschaft in einer virtuellen Versammlung), dazu krit. Heckschen/Hilser, ZIP 2022, 461 und 670; Wicke, DStR 2022, 498; OLG München, 28.7.2021 – 7 AktG 4/21, NZG 2021, 1594 (verschmelzungsrechtlicher Squeeze-out in Zeiten von Corona); LG Köln, 4.3.2021 – 91 O 12/20, NZG 2021, 872 (Beschlussfassung in der digitalen Hauptversammlung – Regelung des Nachweisstichtags); LG München I, 26.5.2020 – 5 HK O 6378/20, BB 2020, 1618, 1619 m. Anm. Kessler (kein Anspruch eines Aktionärs auf Untersagung einer ordnungsgemäß einberufenen virtuellen Hauptversammlung per einstweiliger Verfügung), dazu Schultheis, GWR 2020, 344; LG Frankfurt/M., 23.2.2021 – 3–05 O 64/20, AG 2021, 441, 443 (Verkürzung von Aktionärsrechten ist in der virtuellen Hauptversammlung zulässig – keine „Zwei-Wege-Kommunikation“); LG München I, 29.7.2021 – 5 HK O 7359/21, DStR 2022, 275 (Umfang des Fragerechts der Aktionäre/ Auskunftserzwingungsverfahren bei virtueller Hauptversammlung), dazu Leuering/Rubner, NJW-Spezial 2022, 145; LG Berlin, 4.2.2021 – 100 O 70/20, BeckRS 2021, 20034 (kein Auskunftsrecht des Aktionärs in virtuellen Hauptverhandlungen); OLG Karlsruhe, 11.1.2022 – 19 W 20/21 (Wx), BeckRS 2022, 13796 (virtuelle Mitgliederversammlung bei Vereinen)).

Die Neuregelung in § 48 Abs. 1 Satz 2 GmbHG ändert nichts daran, dass es in gesetzestechnischer Hinsicht beim Grundsatz des § 48 Abs. 1 Satz 1 GmbHG bleiben wird: Gesellschafterbeschlüsse werden grds. in Versammlungen der Gesellschafter im Sinne physischer Zusammenkünfte gefasst. Nur ausnahmsweise kann hiervon in zweierlei Hinsicht abgewichen werden. Entweder es bleibt beim Erfordernis der Zusammenkunft, diese wird jedoch gem. § 48 Abs. 1 Satz 2 GmbHG in den virtuellen Raum verlagert. Oder aber ein Gesellschafterbeschluss kommt (ohne Versammlung) im Umlaufverfahren gem. § 48 Abs. 2 GmbHG zustande.

In jedem Fall bedarf es aber aufgrund expliziter gesetzlicher Anordnung der Zustimmung aller Gesellschafter (in Textform). Aus der Perspektive derjenigen, die schon vor Inkrafttreten des DiREG davon ausgingen, dass virtuelle Versammlungen bereits nach allgemeinen Grundsätzen und ohne explizite gesellschaftsvertragliche Regelung physischen Präsenzversammlungen gleichstehen können (Stelzhammer, GmbHR 2022, 187; Bochmann, EWiR 2021, 677, 678; Kaspras/Schirrmacher, GmbHR 2021, 1331, 1334; Leuering/Rubner, NJW-Spezial 2021, 751; Stelzhammer, GmbHR 2022, 187, 190), handelt es sich bei der gesetzgeberischen Entscheidung für das Konsensprinzip um eine Verschärfung der Rechtslage, was ihr einige Kritik eintrug (Bochmann, NZG 2022, 531).

d) Digitalisierungsrichtlinie II

aa) Hintergrund

Die Digitalisierung im Gesellschaftsrecht ist weiterhin dynamisch und wird von der EU und dem Bundesjustizministerium vorangetrieben. Den Startschuss bildete die Digitalisierungsrichtlinie 2019/1151. Diese setzte die Vorgaben des sog. Company Law Packages (Vgl. dazu Linke, NZG 2021, 309; Bormann/Stelmaszczyk, NZG 2019, 601; Heckschen, NotBZ 2020, 241) um. Deren Vorgaben sind in Deutschland im Jahr 2021 mit dem Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie (DiRUG) implementiert worden.

bb) Grundlagen

An diese jüngeren Entwicklungen knüpft die EU-Kommission, welche sich in ihrem Arbeitsprogramm das Motto „Ein Europa für das digitale Zeitalter“ auf die Fahne geschrieben hat, mit ihrem jüngsten Vorschlag an. Am 23.3.2023 hat die Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Ausweitung des Einsatzes digitaler Werkzeuge und Verfahren im EU-Gesellschaftsrecht vorgestellt, durch welchen die Digitalisierungsrichtlinie durch die Aufnahme neuer Vorschriften und die Änderung bestehender Vorschriften weiterentwickelt werden soll (Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council amending Directives 2009/102/EC and (EU) 2017/1132 as regards further expanding and upgrading the use of digital tools and processes in company law, COM(2023) 177 final.).

Ziel dieser Gesetzgebungsinitiative ist es, bestehende Formalitäten bei grenzüberschreitenden Unternehmensaktivitäten weiter abzubauen und den Zugang zu registergebundenen Unternehmensinformationen zu verbessern. Dies gilt insbesondere für Konstellationen, in denen Unternehmen Informationen aus Unternehmensregistern in grenzüberschreitenden Situationen, wozu auch Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren gehören, verwenden. Durch diese neuen Vorgaben soll es zu stärker digitalisierten und vernetzten grenzüberschreitenden öffentlichen Dienstleistungen für Gesellschaften kommen. Die Kommission möchte auf diesem Weg auch die Transparenz und das Vertrauen der Binnenmarktteilnehmer in grenzüberschreitende Geschäftstätigkeiten stärken. Dies soll es schließlich auch anderen Behörden auch erleichtern, Missbrauch zu bekämpfen. Gleichzeitig soll der in dem Vorschlag verbundene Bürokratieabbau jährlich rund 437 Mio. EUR an Verwaltungskosten einsparen. Insbesondere sollen kleine und mittlere Unternehmen entlastet werden. Ein Ziel besteht darin, die Gründung ausländischer Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften bzw. ganz allgemein grenzüberschreitende Geschäftsaktivitäten zu erleichtern.

cc) Der Entwurf im Einzelnen

Der Entwurf besteht im Wesentlichen aus den folgenden Vorschlägen, welche in die bestehende GesR-RL (RL 2017/1132), in der sich auch die Digitalisierungsrichtlinie wiederfindet, implementiert werden sollen, wobei Personenhandelsgesellschaften und Partnerschaftsgesellschaften sowie die EWi.V. ausdrücklich mit einbezogen werden. Anders als z.B. bei der Mobilitätsrichtlinie (Ausf. dazu Habersack, ZHR 187 (2023), 48; Heckschen/Knaier, GmbHR 2023, 317) sind also nicht nur Kapitalgesellschaften Ziel der Kommission.

(1)  Zwingende vorbeugende Kontrolle bei Gründung und Satzungsänderungen

Der Kommissionsentwurf sieht eine Neufassung des Art. 10 GesR-RL-E vor. Die vorgeschlagene Neuregelung beinhaltet die vorbeugende Kontrolle durch Verwaltung oder Judikative im Falle der Gründung und bei jeder Änderung des Errichtungsakts oder der Satzung bei Personen- und Kapitalgesellschaften. Dies gilt unabhängig davon, ob die Gründungsform online, hybriden oder offline ist. Zudem sollen Mindeststandards für diese Rechtmäßigkeitsprüfung festlegt werden. Diese beinhalten gem. Art. 10 Abs. 2 GesR-RL-E die Einhaltung der formalen Anforderungen an den Gründungsakt bzw. die Satzung, das Nichtvorliegen offensichtlicher materiell-rechtlicher Unregelmäßigkeiten und die Kontrolle, dass die Geld- oder Sacheinlage im Einklang mit dem nationalen Recht geleistet worden ist. Der Entwurf sieht die Möglichkeit der Beteiligung von Notaren an dieser vorgelagerten Kontrolle ausdrücklich vor.

Spannend wird es sein, wie Länder, die im Prinzip nur Unternehmensdateien führen (z.B. Malta, Zypern, Irland), diese Vorgaben umsetzen.

(2)  Erweiterung der Registerinhalte

Zunächst sollen die bestehenden Registerinhalte erweitert wird. Dies gilt gem. Art. 14a GesR-RL-E in persönlicher Hinsicht für die Offenlegung von Informationen über Personengesellschaften. Diese sollen zukünftig Informationen wie bspw. den Namen, die Rechtsform oder den Vertragssitz in den nationalen Registern und über das durch die Digitalisierungsrichtlinie eingeführte System zur Verknüpfung von Unternehmensregistern (Business Registers Interconnection System bzw. BRIS) offenlegen müssen. Das BRIS verknüpft die mitgliedstaatlichen Register und ermöglicht die unionsweite Suche nach Informationen aus mitgliedstaatlichen Unternehmensregistern. Die erfassten deutschen Personengesellschaftsformen sind entsprechend des Annexes II zum Kommissionsentwurf die oHG und die KG. Die – ab dem 1.1.2024 durch das MoPeG (Ausf. dazu Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht; Wertenbruch, JZ 2023, 78) reformierte – (eingetragene) GbR wird hingegen nicht erfasst.

Darüber hinaus sollen zukünftig gem. Art. 14b GesR-RL-E auch konzernbezogenen Informationen offengelegt werden müssen. Dazu zählen z.B. der Name und die Rechtsform jeder Tochtergesellschaft sowie der Mitgliedstaat, in welchem diese eingetragen sind. Grds. soll die Muttergesellschaft in ihrem nationalen Register grundlegende Informationen auch über alle ihre Tochtergesellschaften offenlegen. Dies gilt jedoch nur insoweit, als die Muttergesellschaft dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegt. Unterliegt die oberste Muttergesellschaft dem Recht eines Drittlandes, solle die Offenlegungspflicht von der in einem Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft erfüllt werden, die der obersten Muttergesellschaft in der Kette am nächsten steht. Darüber hinaus soll auch eine Visualisierung der mitunter komplexen Konzernstrukturen durch das System der Registerverknüpfung zur Verfügung gestellt werden.

Schließlich sollen Kapitalgesellschaften künftig gem. Art. 14 lit. l, m GesR-RL-E auch die Lokalisierung ihrer Hauptverwaltung und ihre Hauptniederlassung offenlegen, wenn diese nicht in dem Mitgliedstaat, in dem der Satzungssitz lokalisiert sind, belegen sind. Diese Vorschrift dient dem Schutz der Stakeholder (insbes. Gläubiger) durch Transparenz. Sie werden dadurch in die Lage versetzt, fundierte Entscheidungen zu treffen und ihre Interessen schützen können.

(3)  Grundsatz der einmaligen Erfassung („once-only principle“)

Gegenwärtig besteht die Bürde, dass grenzüberschreitend aktive Unternehmen dieselbe Information mehrfach in unterschiedlichen Mitgliedstaaten einreichen müssen. Dies verursacht für die Unternehmen unnötigen Aufwand und unnötige Kosten. Hier setzt die Kommission an. Nach dem vorgeschlagenen Grundsatz der einmaligen Erfassung müssen Unternehmen bei der Errichtung einer Zweigniederlassung oder eines Unternehmens in einem anderen Mitgliedstaat die bereits in ihrem nationalen Unternehmensregister verfügbaren Informationen künftig nicht erneut dem Register des Mitgliedstaats, in dem die Tochtergesellschaft oder Zweigniederlassung angemeldet werden soll, übermitteln. Stattdessen sollen die Unternehmensregister die entsprechenden Informationen über das durch die Digitalisierungsrichtlinie eingeführte und mittlerweile in der Praxis bewährte System BRIS austauschen (vgl. Art. 13g Abs. 2a, 28a Abs. 5a GesR-RL-E). Das Register, in dem die Gesellschaft gegründet werden soll, soll diese Informationen aus dem BRIS abrufen.

(4)  Verknüpfung des BRIS mit Registern über Insolvenz und wirtschaftliche Eigentümer

Das BRIS soll zukünftig mit den mitgliedstaatlichen Insolvenzregistern (insolvency registers interconnection – IRI) und den Registern wirtschaftlicher Eigentümer (beneficial ownership registers interconnection system – BORIS)) verknüpft werden. Dadurch soll eine vereinfachte Suche nach Informationen über in der EU ansässige Unternehmen ermöglicht werden. Den Unternehmen soll aufgetragen werden, dass die in den Registern enthaltenen Informationen stets auf dem neuesten Stand müssen. Dies soll einerseits dadurch gelingen, dass Gesellschaften gehalten sind, ihre Informationen in den Unternehmensregistern rechtzeitig zu aktualisieren und einmal jährlich zu bestätigen, dass die Informationen auf dem neuesten Stand sind (vgl. Art. 15 GesR-RL-E). Wenn innerhalb eines Jahres keine Änderung eingetreten ist, soll die Mutter- oder Tochtergesellschaft dies ihrem Register bestätigen. Zur Durchsetzung dieser Vorgaben sollen die Mitgliedstaaten gewährleisten müssen, dass Sanktionen verhängt werden, wenn Gesellschaften Informationen nicht oder verspätet bei den Registern einreichen.

(5) Einheitliches EU-Gesellschaftszertifikat

Zukünftig soll gem. Art. 16b GesR-RL-E ein von dem Register ausgestelltes – analog und elektronisch verfügbares – EU-Gesellschaftszertifikat mit grundlegenden Informationen über das jeweilige Unternehmen in allen mitgliedstaatlichen Sprachen und kostenlos verfügbar sein. Dieses wird von den mitgliedstaatlichen Registern ausgestellt. Die Gesellschaft kann dadurch grundlegende Informationen wie bspw. Existenz, Rechtsform, Sitz, Vertretung nachweisen. In diesem Gesellschaftszertifikat werden darüber hinaus wesentliche Gesellschaftsinformationen wie bspw. die Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen, in Steuerangelegenheiten oder Genehmigungsverfahren in einem anderen Mitgliedstaat, verfügbar sein. Das Zertifikat muss in allen Mitgliedstaaten als schlüssiger Beweis für die Gründung der Gesellschaft und die in ihm enthaltenen Informationen anerkannt werden.

Es wird allerdings aus dem bisherigen Entwurfstext nicht hinreichend klar, ob ein ganz wesentliches Problem des derzeitigen grenzüberschreitenden Rechtsverkehrs endlich gelöst wird: Aus vielen Registern in Europa ist zwar ersichtlich, wer die vertretungsberechtigten Personen eines Unternehmens sind, nicht aber, wie sie vertreten können, wenn mehrere Vertretungsberechtigte bestellt sind. Anders als in Deutschland ist z.B. in Frankreich oder in den Niederlanden aus dem Register nicht erkennbar, ob mehrere vertretungsberechtigte Personen einzeln oder nur gemeinsam und in welcher Weise sie vertretungsberechtigt sind. Art. 16b Abs. (2) lit. k) ist insoweit unklar, da bei gesamtvertretungsberechtigten Personen nicht eindeutig geregelt ist, in welcher Weise sie mit anderen vertretungsberechtigten Personen vertreten dürfen. Insoweit stellt sich zu diesem Zertifikat die Frage, ob es auch aus Staaten, die bisher keine Registerprüfung nach deutschem Verständnis vorsehen (Malta, Zypern, Irland), zu akzeptieren ist.

(6)  Standardisiertes EU Power of Attorney

Darüber hinaus ist die Einführung einer mehrsprachige Mustervollmacht, mit der eine Person in digital beglaubigter Form zur Vertretung eines Unternehmens in einem anderen Mitgliedstaat ermächtigt wird, vorgesehen. Diese muss im gesamten Binnenmarkt akzeptiert werden. Die Vollmacht wird aber weiter nach nationalem Recht erstellt und kann auch nach nationalem Recht widerrufen werden. Die Vollmacht soll im Unternehmensregister des Unternehmens hinterlegt werden. Dritte mit einem berechtigten Interesse sollen sie dort abrufen können. Ob eine derartige Vollmacht wirklich großen Nutzen bringt, erscheint sehr fraglich, da die Vollmachtgeber in der Praxis stets eine Vielzahl von Einschränkungen etc. wünschen. An dem Vorschlag der Mustervollmacht wird zu arbeiten sein.

(7)  Beseitigung weiterer Formalitäten, z.B. Entbehrlichkeit einer Apostille

Um Bürokratieaufwand einzusparen, sieht der Entwurf in Art. 16d und 16f die Beseitigung von Formalitäten wie der Notwendigkeit einer Apostille oder beglaubigter Übersetzungen von Unternehmensdokumenten vor, wenn beglaubigte Register- oder notarielle Dokumente zu einem gesellschaftsrechtlichen Vorgang grenzüberschreitend in einem anderen Mitgliedstaat verwendet werden. Die Beseitigung der Notwendigkeit einer Apostille im europäischen Rechtsverkehr des Gesellschaftsrechts wäre ein Meilenstein.

Die Einholung einer Apostille (vereinfacht: einer Bestätigung, dass z.B. der Notar auch wirklich Notar ist) nimmt in der Praxis viel Zeit in Anspruch und löst erheblichen finanziellen Aufwand aus. Die Apostille war bislang bspw. bei der Gründung einer Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat erforderlich und für fast jede notarielle Urkunde im grenzüberschreitenden Bereich, mit Ausnahme des Rechtsverkehrs mit Frankreich und Österreich, unerlässlich. Durch den Vorschlag würden Verwaltungshürden daher substantiell gesenkt. Gleiches soll auch für Dokumente und Informationen gelten, die über das BRIS ausgetauscht werden sowie für notarielle Urkunden oder Verwaltungsdokumente im Zusammenhang mit den Verfahren nach der GesR-RL (z.B. Eintragung von Zweigniederlassungen oder grenzüberschreitende Umwandlungen).

Ein Auszug aus dem Buch Wachter/Heckschen (Hrsg.) Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, 6. Auflage, 2024, §10 Rn 128-176

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