Vertretungszeiten im Notariat

Urlaubs- und Krankheitsvertretungen gehören zu unserem Beruf wie Sonnenbrand zum Sommer oder Weihnachtslieder zum Dezember. Ich zumindest habe zu Vertretungszeiten ähnlich stressige Assoziationen und bin häufig gleichermaßen erleichtert, wenn diese Zeiten überstanden sind. 

Welche Art der Vertretung mir leichter fällt – die langfristig im Voraus gefürchtete Urlaubsvertretung oder die schockartige Krankheitsvertretung – kann ich gar nicht genau sagen.

Auch wenn jede Vertretung anders ist, läuft jede bei mir doch nach einem ähnlichen Muster ab. Vielleicht erkennt sich ja der ein oder andere in manchen Phasen wieder?

Vertretung in Krankheitszeiten

Es ist Montagmorgen, ein herrliches Wochenende liegt hinter mir. Ich rolle mich also halbwegs motiviert aus dem Bett, riskiere einen ersten Blick aufs Handy und dann ist er da.

Phase 1: Der Schockmoment

„Ich bin krank.“, lautet die Nachricht der Lieblingskollegin, die mir grell von meinem Handydisplay entgegenleuchtet. Einige Sekunden Blinzeln braucht es, bis ich feststelle, dass dies kein Alptraum, sondern leider die Realität meines Montagmorgens ist.

Rasch werden Genesungswünsche zurückgeschickt und Daumen gedrückt, damit die Krankheit schnell ausgestanden ist. Während der Fahrt zur Arbeit wird mein Tagesplan umgeworfen und Akten werden im Kopf neu sortiert.

Ich weiß nicht, wie das in anderen Teams ist, aber meine Lieblingskollegin und ich bekommen meist trotz Krankheit eine Übergabe per Telefon hin. Und so auch dieses Mal: Hustend und krächzend gibt sie mir einen kurzen Überblick über ihren Schreibtisch und erklärt, welche Akten ich stiefmütterlich beiseitelegen kann.

Phase 2: Überblick verschaffen und cool bleiben

Die Devise der Stunde: Durchatmen, cool bleiben und Panik vermeiden. Als ich den Status quo ermittle, merke ich, dass nicht nur die Mandanten aus meinem Zuständigkeitsbereich das Wochenende genutzt haben, um Vertragsentwürfe durchzusehen und E-Mails zu beantworten. Auch die meiner Kollegin waren fleißig und es gibt viel zu tun.

Ich drucke Mails aus, sortiere Briefe zu Akten und hole ankommende Faxe aus dem Faxgerät. Die Situation erinnert mich an eine Szene aus dem ersten Teil von Harry Potter, in der Harry zahlreiche Briefe aus Hogwarts bekommt. Seine Einladungen für den Eintritt in die Schule für Magie und Zauberei flattern unaufhörlich in das Haus seines Onkels, sprengen den Briefkasten und fluten das Haus sogar durch den Kamin hindurch. So ähnlich sieht es hier auch aus.

Am liebsten würde ich die Taktik von Mr. Dursley, Harrys Onkel, übernehmen und auch mein E-Mail-Postfach mit Brettern vernageln, um mich vor weiterer Post zu schützen.

Phase 3: Der sich anbahnende Nervenzusammenbruch

Wem drängt sich in Vertretungszeiten auch regelmäßig der Verdacht auf, dass die Mandanten und Rechtspfleger die Abwesenheit der Kollegin riechen können und sich gemeinsam gegen einen verschwören wollen? Denn wie sonst kommt es, dass ausgerechnet jetzt alle Mandanten geballt Änderungswünsche in komplizierten Verträgen äußern oder monatelang auf Eis gelegte Angelegenheiten nun plötzlich wichtig werden? Oder Rechtspfleger zwischenzeitlich Akten bearbeitet haben, die dem Gericht seit Monaten vorliegen?

Einer dieser Sätze wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit während jeder Vertretungszeit fallen:

  • Aussage vom Mandanten: „Es ist eilig.“
  • Beiläufige Info vom Notar: „Da ist spontan morgen Termin.“
  • Anruf eines Mandanten: „Ich hätte da gern mal eine Proberechnung.“
  • Frage vom Empfang: „Kannst Du das noch übernehmen?“
  • Annahme vom Rechtspfleger: „Sie wissen ja gewiss auch, um was es geht.“
  • Anweisung vom Notar: „Das muss heute noch raus.“

Vielleicht bereite ich für die nächste Vertretung schon einmal ein Bingo-Feld mit diesen Sätzen vor. Könnte lustig werden!

Vor jedem eingehenden Telefonat schicke ich ein stummes Stoßgebet los, dass es mir nicht mehr als zwanzig Minuten klaut. Doch natürlich passiert es genau jetzt, dass „ein paar kleine Fragen“ zum Kaufvertragsentwurf in einer Akte meiner Kollegin geklärt werden müssen, die ich gerade zum ersten Mal aufschlage. Natürlich handelt für den Verkäufer in dieser Angelegenheit ein Insolvenzverwalter, ein Anderkonto wird gebraucht und die Notwendigkeit der Einhaltung einer Zwei-Wochen-Frist steht im Raum. Gesucht werden Antworten auf Fragen, die ich nicht mal eben aus dem Ärmel schütteln kann, weil ich die Akte einfach nicht kenne. Standardmäßig erkläre ich meine Situation und ernte mal mehr und mal weniger verständnisvolle Worte vom anderen Ende der Leitung, wenn ich verspreche nach Durchsicht der Akte zurückzurufen.

Hinter einem Pokerface verstecke ich dann den Nervenzusammenbruch, der ausbricht als die Postrunde beendet ist und neue Briefe doch noch einen Weg durch den vernagelten Briefkasten in mein Zimmer finden.

Phase 4: Ein Lichtblick

Mein Nervenzusammenbruch versiegt rasch, sobald weitere Kolleginnen zur Hilfe eilen und die eine oder andere Akte zur Bearbeitung mitnehmen. Es tut gut zu wissen, dass ein ganzes Team hinter mir steht und ich nicht all die Arbeit alleine schaffen muss.

An dieser Stelle ein kurzer Reminder an alle: Es muss ja nicht gleich die Abwicklung des Mammutkaufvertrages aus Insolvenz mit Notaranderkonto sein, den man einer ausgelasteten Kollegin in Vertretungszeiten abnimmt – meist reichen ja schon ein, zwei Eintragungsnachrichten, um den Berg aus Akten beim anderen ein Stückchen kleiner zu machen.

Phase 5: Akzeptanz

Ohne es wirklich zu merken, sind gleich mehrere schiefe Türme von Pisa ganz von alleine rechts und links auf meinem Schreibtisch entstanden. Für Außenstehende haben diese eine abschreckende Wirkung, sodass ich weitestgehend vor mich hinarbeiten kann. Erschrocken läuft meist jeder Eintretende gleich wieder rückwärts aus dem Zimmer hinaus, ohne mich anzusprechen. Mittlerweile bin ich im Thema der laufenden Akten meiner Kollegin, kann GmbH-Gründungen einreichen, den Einbehalt auf dem Notaranderkonto für die Löschung eines Alt-Rechts erklären und kann sogar den Frust der Mandanten über sich verzögernde Fälligkeiten an mir abprallen lassen. Die schiefen Türme von Pisa akzeptiere ich und arbeite Stück für Stück daran, sie kleiner werden zu lassen.

Phase 6: Vorfreude

Wenn dann am Freitagnachmittag die Meldung kommt, dass meine Kollegin kommende Woche gesund ins Büro zurückkehren wird, möchte ich mir – wie der Party-Emoji, den ich der Lieblingskollegin auf Whats App zurückschicke – ein Partyhütchen aufsetzen, mit Konfetti um mich werfen und in eine Partytröte pusten.

Gewiss geht jeder und jede von uns mit Vertretungszeiten anders um. Ich bewundere die Kolleginnen bei uns im Büro, die in einer Vertretung Ruhe und Lockerheit ausstrahlen. Und ich fühle mit jeder mit, die gestresst und gehetzt vom Kopierer zum Computer läuft und dabei noch versucht zu lächeln.

Nach jeder überstandenen Vertretung nehme jedenfalls ich mir vor, mich das nächste Mal weniger stressen zu lassen. Vielleicht klappt das ja irgendwann auch.

Checkliste für Vertretungen

Um die Vertretungszeiten so strukturiert wie möglich zu gestalten, gibt es bei uns ein bürointern abgestimmtes Protokoll. Das ist für alle gespeichert und jederzeit einsehbar. Vielleicht fehlt der eine oder andere Punkt noch auf Ihrer Checkliste, den Sie übernehmen oder auf Ihrer eigenen nochmal überdenken wollen:

  1. Feste Vertretung
    Dass es bei uns nicht austauschbare Vertretungspärchen gibt, ist ein Gesetz. So sollte es jedenfalls nicht passieren, dass sich niemand zuständig fühlt, sollte der Gegenüber geplant oder ungeplant ausfallen. Der Vertretungspartner übernimmt in dieser Zeit dann alle Aufgaben des Gegenübers.
  2. Notfallplan
    Der Worst-Case, dass die Vertretung der Vertretung ebenfalls langfristig ausfällt, ist bei uns glücklicherweise noch nie eingetreten und daher auch nicht explizit ausgefeilt. Der Notfallplan sähe immerhin vor, dass dann die umliegenden Zimmer die Arbeit beider Kolleginnen übernehmen würden.
  3. Übergabe
    Bestenfalls werden vorab schriftliche Notizen ausgetauscht, denen zu entnehmen ist, was in der Vertretungszeit zu erwarten oder zu tun ist. Häufig besteht ein Übergabeprotokoll zwar nur aus hektischen Kritzeleien, die helfen dem anderen dennoch definitiv weiter.
  4. E-Mails
    In unserem Mailsystem können die eingegangenen Nachrichten mit unterschiedlichen Farben markiert werden. Nicht, damit der Gegenüber von einem elektronischen Regenbogen bei seiner Rückkehr erwartet wird, sondern viel eher, um die Nachrichten vorzusortieren. Rot steht für unerledigt, grün für erledigt. Gelb markierte Mails müssen nochmal angesehen werden und bei allem, das lila ist, handelt es sich um bürointerne Infos.
  5. Telefon
    Die Einrichtung der Rufumleitung vergesse ich gerne mal, ist aber wichtig. 
  6. Neue Aufträge
    Neu eingehende Aufträge im Zuständigkeitsbereich der zu vertretenden Kollegin bleiben auch in ihrem Zuständigkeitsbereich und werden entsprechend auf diese angelegt.
  7. Aktenorganisation
    Bürointern werden die Akten bei uns weitestgehend gleich geführt. Natürlich setzt jede und jeder von uns die Tackernadel mal weiter oben oder unten am Blatt, doch der Aufbau einer Akte ist immer gleich. So kann sich jeder und jede rasch einen Überblick verschaffen. Am praktischsten ist es, wenn eine detaillierte Übersicht zu Beginn jeder Akte zu finden ist. So ist direkt ersichtlich, was zu tun und was besser zu lassen ist.

Habe ich etwas Gravierendes vergessen? Wie werden die Vertretungszeiten in anderen Notariaten gehandhabt?

Learnings

Ich muss definitiv lernen zu akzeptieren, dass ich in einer Vertretung nicht die Arbeit schaffen kann, die normalerweise zwei Notarfachangestellte erledigen. Wir sind zwar Notarfachangestellte mit vielen Talenten, aber eben noch lange keine Kraken mit acht Armen.

Nicht zu vergessen: Wie verbrannte Haut im Sommer und Geschenkestress zu Weihnachten, geht jede noch so stressige Vertretung vorbei. Und wie nach jedem Sonnenbrand oder jedem Weihnachtsfest, schwört man sich auch nach jeder Vertretungszeit, gewisse Dinge beim nächsten Mal ganz anders zu machen.

Und wer weiß, vielleicht klappt das mit der stressfreien Vertretung ja irgendwann mal. Genauso wie es doch irgendwann auch mal einen Sommer ohne Sonnenbrand geben muss!

Die Notarfachangestellte aus Hamburg hat ein Faible für das Gesellschafts- und Erbrecht, ist aber auch in allen anderen Rechtsgebieten, die das Notariat zu bieten hat, unterwegs. Nach der Ausbildung zur Notarfachangestellten, hat sie einen kurzen Ausflug in das Jurastudium gemacht und dabei festgestellt, dass ihr Herz einzig und allein für das Notariat schlägt. Als nächstes steht die Weiterbildung zur Notarfachwirtin auf ihrem Plan. In ihrer Freizeit ist sie mit einem Podcast auf den Ohren, einem Buch vor der Nase oder in der Natur rund um die Alster anzutreffen.

Hier erzählt sie Geschichten aus dem Büroalltag und gibt Einblicke hinter die Kulissen im Notariat.